Willkommen, Gast
Benutzername: Passwort: Angemeldet bleiben:
  • Seite:
  • 1
  • 2

THEMA:

Es gibt keinen Schub? 14 Apr 2012 08:42 #40672

Hallo,

letztens sagte ein wissenschaftlicher Mitarbeitet an der FH bei uns: "Es gibt eigentlich garkeine Schubspannungen, nur schiefe Hauptzugspannungen."

Bei der einfachen Balkenstatik kann ich mir das auch noch vorstellen, da verlaufen ja die Zugspannungen zum Auflager hin geneigt durch den Einfluss der Querkraft.
Aber was ist zum Beispiel mit Schulterschub / Einleitung der Schubspannungen in die Gurte bei Plattenbalken? Oder Verbundnachweise bei Fugen bei zB Filigrandecken? Da ist doch wirklicher Schub am Werk, oder? :D

MfG

Daniel

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Aw: Es gibt keinen Schub? 14 Apr 2012 14:32 #40674

necke schrieb:

"Es gibt eigentlich gar keine Schubspannungen, nur schiefe Hauptzugspannungen."

Hallo,

die Aussage (die übrigens von dem Großmeister Leonhardt stammt) ist einerseits richtig andererseits auch nicht und ist letztlich ein Streit um Kaisers Bart.

Als Beispiel für die interessante Frage kann man eine Zugkonstruktion mit einer angehängter Last wählen, bestehend aus 2 geneigten Stäben \ /.
Was gibt es wirklich und was ist nachzuweisen:
(a) Hauptzugspannungen sig_I parallel zur Stabachse und in Schnitten normal zur Stabachse oder
(b) Schubspannungen tau_xy und Zugspannungen sig_y in horizontalen Schnitten durch den Stab oder
(c) Schubspannungen tau_xy und Zugspannungen sig_x in vertikalen Schnitten.

Richtig ist obige Aussage aus folgendem Grund:
die Schubspannungen die man ermittelt, sind abhängig vom Koordinatensystem in dem man rechnet.
Die Hauptspannungen dagegen sind invariante Größen, also unabhängig vom Koordinatensystem.
Das bedeutet, dass es der Natur offensichtlich egal ist, in welchem Koordinatensystem wir rechnen.

Nicht richtig ist obige Aussage, weil nach DIN 18800-1-(748) ein Nachweis der Vergleichsspannung (einschl. tau) geführt werden muss und es außerdem verschiedene Nachweishypothesen gibt, in denen die Schubspannungen mit unterschiedlichen Gewichten eingehen.
www.offroad-travel.de/conewa/Technik/Dok...ergleisspannung.html
Man begnügt sich also nicht mit dem Nachweis der Hauptspannungen.
Man kann jetzt schlecht sagen, wir führen zwar einen Nachweis für die Schubspannungen, aber in Wirklichkeit gibt es sie nicht.

Für Ingenieure sind auch Schubspannungen reale Größen, ob es sie wirklich gibt ist eine uninteressante Frage, denn auf atomarer Ebene gibt es weder Schubspannungen noch Hauptspannungen.

Gruß
E.S.

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Letzte Änderung: von prostab.

Aw: Es gibt keinen Schub? 15 Apr 2012 15:24 #40676

Okay, danke für die Anregung. Ich hab mal ein bisschen gegoogelt über das Thema Vergleichsspannungen und Hauptspannungen.

Also ich denke es ist einfach so: Rein rechnerisch muss es keine Schubspannungen geben. Am Beispiel des Einfeldträgers mit Gleichstreckenlast verdreht man einfach das Koordinatensystem, um Gleichgewicht zwischen inneren und äußeren Kräften zu kriegen und "rechnet sich die Schubspannungen quasi heraus".
In Wirklichkeit werden aber trotzdem durch die Änderung der Spannungen über die Trägerlänge (also besonders im Auflagerbeich - steile Tangente des Momentenverlaufs) Verzerrungen des Querschnitts hervorgerufen, die doch in gewisserweise - jetzt am Beispiel des Stahlbaus - das Fließverhalten der Werkstoffes beeinflussen. Deshalb werden die Schubspannungen mit der empirischen Vergleichsspannungsformel mit reingerechnet.

Und wenn ich das richtig verstehe, kann man die Hauptspannungen auch genausogut so umrechnen, sodass diese verschwinden und man nur noch Schubspannungen hat, deren Richtung im rechten Winkel zu den Hauptspannungen stehen.

Also im Grunde genommen sind Schubspannungen und Normalspannungen nur fiktive Größen, um Gleichgewicht herzustellen. In Wirklichkeit gibt es aber trotzdem ein Zusammenspiel zwischen Dehnungen und Verzerrungen bwz. Normal- und Schubspannungen, die je nach Werkstoff in Vergleichsspannungsformeln abgebildet werden. (Bei Stahlbeton nicht nötig wegen Zustand II, Fachwerkmodell etc.)

Ich hoffe ich hab das richtig verstanden so. Ich weiss, für den anwendenden Ingenieur ist es eher unwichtig, diese Zusmmenhänge zu begreifen. Trotzdem finde ich es wichtig und auch interessant, wirklich zu verstehen, was man rechnet.
Auch wirklich traurig, dass diese Zusammenhänge einem kaum im Studium vermittelt werden.

Gruß

Daniel

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Aw: Es gibt keinen Schub? 15 Apr 2012 22:25 #40683

necke schrieb:

...
Und wenn ich das richtig verstehe, kann man die Hauptspannungen auch genausogut so umrechnen, sodass diese verschwinden und man nur noch Schubspannungen hat, deren Richtung im rechten Winkel zu den Hauptspannungen stehen.

Nein, das ist falsch. Im Wasser z.B. gibt es nur hydrostatische Normalspannungszustände aber keine Schubspannungen, egal unter welchem Winkel. Einen beliebigen Spannungszustand kann man nicht so umrechnen, dass man nur Schubspannungen hat. Zwei unabhängige Größen sig_I und sig_II kann man nicht zu einer resultierenden Größe zusammenfassen. Man kann aber aus jedem beliebigen Spannungszustand Hauptschubspannungen mit einem zugehörigen Normalspannungszustand berechnen.
Siehe z.B.
www.mechanik.uni-bremen.de/tmwing/11_Spannungszustand.pdf

Also im Grunde genommen sind Schubspannungen und Normalspannungen nur fiktive Größen, um Gleichgewicht herzustellen.

So kann man das auch nicht sagen.
Denn erstens gelten die Gleichgewichtsbedingungen für Kräfte und nicht für Spannungen und zweitens sind Spannungen für uns keine fiktiven Größen. Spannung ist Kraft/Fläche, das ist eine Rechengröße der Mechanik aber keine fiktive Größe.

Ich hoffe ich hab das richtig verstanden so. Ich weiss, für den anwendenden Ingenieur ist es eher unwichtig, diese Zusmmenhänge zu begreifen.

Es ist nicht unwichtig sondern sehr wichtig, dass man sich darüber Klarheit verschafft. Dass man im Studium nicht ausreichend Zeit hat, es zu verdauen, ist eine andere Sache.

Mit Gruß
E.S.

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Aw: Es gibt keinen Schub? 16 Apr 2012 07:41 #40686

Okay, vielen Dank für deine Antworten!

Habe noch eine Frage: Bezüglich des Beispiels Einfeldträger mit Streckenlast - Warum nennent man die geneigten Risse im Auflagerbereich Schubrisse, obwohl sie ja eigentlich durch die schiefen Hauptzugespannungen hervorgerufen werden?
Müssten nicht die Risse, die aufgrund der Schubspannungen entstehen, senkrecht stehen zu den Rissen aufgrund schiefer Hauptspannung? (siehe Bild)

(Zitat aus deiner Pdf-Datei: "Die Richtung in der die maximalen Normalspannungen wirkenund die Richtung in der die Schubspannung maximal wird, stehen in einem
Winkel von 45° zueinander"

Schönen Gruß

Daniel
Anhänge:

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Aw: Es gibt keinen Schub? 16 Apr 2012 14:38 #40691

necke schrieb:

...
Warum nennent man die geneigten Risse im Auflagerbereich Schubrisse, obwohl sie ja eigentlich durch die schiefen Hauptzugespannungen hervorgerufen werden?

Der Begriff Schub stammt aus dem alten Handwerk (Gewölbeschub usw.).
Auch in der alten DIN 1045 hat man noch Schubspannungen tau_0 bestimmt.
tau_0 war/ist schnell ermittelt und war/ist sehr aussagefähig.
Dann kamen die Oberschlauen der neuen Normen und der Rest ist ein Drama.

Müssten nicht die Risse, die aufgrund der Schubspannungen entstehen, senkrecht stehen zu den Rissen aufgrund schiefer Hauptspannung? (siehe Bild)
(Zitat aus deiner Pdf-Datei: "Die Richtung in der die maximalen Normalspannungen wirkenund die Richtung in der die Schubspannung maximal wird, stehen in einem
Winkel von 45° zueinander"

Nein, denn die zitierte Winkelbeziehung gilt für die Spannungen nicht für die Risse.
Welche Risse sich einstellen hängt vom Werkstoff u. vom Spannungszustand ab.
Diverse Versuche haben zu den verschiedenen Spannungs- bzw Bruchhypothesen geführt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch folgendes:
Ein allgemeiner Spannungszustand kann entweder durch die Hauptspannungen sig_I, sig_II beschrieben werden, oder durch
einen reinen (symmetrischen) hydrostatischen Zustand sig_m "plus"
einen reinen (antimetrischen) Schubspannungszustand tau_m.

Reine hydrostatische Spannungen können einen idealen homogenen und isotropen Werkstoff nicht zerstören. Bei Druck ist das sofort klar, denn ein eingekesseltes Material kann nicht verschwinden, egal wie hoch die Spannung ist.
Für Zug gilt es auch, nur kann man sich hierzu keinen Versuch vorstellen.
Kommt aber eine Unsymmetrie in Form von Schubspannungen hinzu, kann der Werkstoff versagen.
Wie groß diese Unsymmetrie sein darf, hängt von der Höhe der symmetr. Spannungen ab.
(Auch der Urknall ist durch eine winzige Unsymmetrie entstanden, behaupten die Physiker).

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen:
im Prinzip ist es falsch zu sagen "es gibt keine Schubspannung".
Die Hauptschubspannung ist ein Maß für die Unsymmetrie des Spannungszustandes.
Gäbe es (in beliebigen Schnitten!) keine Schubspannungen könnte das Material auch nicht versagen.

Darüber sollte man aber unter Ingenieuren keinen Prinzipienstreit anfangen, denn der führt schnell zu rechthaberischen Diskussionen.

Mit Gruß
E.S.

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

  • Seite:
  • 1
  • 2

Copyright © 2022 diestatiker.de | ein Service von Planungsbüro Uhrmacher  | Aunkofener Siedlung 17 - D-93326 Abensberg
Telefon: 0 94 43/90 58 00, Telefax: 0 94 43/90 58 01 | E-Mail: office[@]diestatiker.de | Alle Rechte vorbehalten