Bericht von Dr.-Ing. Horst Schroeder
Vorsitzender des Dachverbandes Lehm e.V. www.dachverband-lehm.de zum Erdbeeben in Bam.
Für die Lehmbauer aus aller Welt standen im Dezember 2003 zwei Ereignisse im Iran im Mittelpunkt: die terra 2003 und die Erdbebenkatastrophe von Bam. Beide Ereignisse sind – im Abstand von nur knapp drei Wochen – auf tragische Weise miteinander verbunden.
Die terra 2003, die 9. Internationale Konferenz zum Studium und zur Konservierung
der Lehmarchitektur, fand vom 29.11.-02.12.2003 in Yazd statt, knapp 400 km von Bam entfernt. Gastgeber war die Iranian Cultural Heritage Organization
(ICHO). Sie wurde unterstützt durch eine Reihe nationaler und internationaler
Organisationen, wie UNESCO, ICOMOS, ICCROM und verschiedene iranische Universitäten. Informationen zum Tagungsort, zum Vortrags- und Exkursionsprogramm können auf der Internetseite www.terra2003.org nachgelesen
werden. Eine der drei Exkursionsrouten im Anschluß an die Konferenz führte auch nach Bam. Darüber hinaus schmückt ein Foto der Altstadt von Bam mit seiner Zitadelle den Umschlag des Tagungsbandes.
Im Tagungszentrum war in einer Vitrine ein Lehmstein ausgestellt, der aus der Region der heutigen Hauptstadt Teheran stammt und einer Bauperiode um 8.000 v.d.Z. angehört. Reste von Konstruktionen aus Lehmsteinen haben sich hier über 10.000 Jahre erhalten – ein Beweis dafür, daß Lehm als Baustoff fachgerecht verarbeitet Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauern kann. Auch im Iran, denn Erdbeben hat es hier schon immer gegeben.
Und in Bam? Waren die Bauleute früherer Jahrhunderte klüger als die heutigen? Erste Kommentare von Fernsehberichterstattern aus dem Katastrophengebiet vermittelten den Eindruck, der Baustoff Lehm sei „Schuld“ an der hohen Zahl der Opfer bei dem aufgetretenen Erdbeben in vergleichsweise moderater Stärke.
Es ist nach unserer Auffassung unangebracht, in diesem Zusammenhang eine „Schuldfrage“ zu stellen, denn das hilft den Opfern nicht mehr. Was aber unbedingt getan werden muß, ist eine bessere Durchsetzung von bekannten Regeln des erdbebengerechten Bauens, und zwar sowohl für den Neubau, denn die Stadt Bam soll wieder aufgebaut werden, vor allem aber für die bestehende Bausubstanz.
Anhand der Schadensstrukturen der zerstörten Gebäude in Bam kann man erkennen, daß gegen wesentliche Grundsätze des erdbebengerechten Bauens verstoßen wurde. Diese Tatsache war schon vor dem Erdbeben von Bam bekannt und sie betrifft nicht nur Bam. Warnende Stimmen iranischer Erdbebenspezialisten und Ingenieure waren bisher leider zu schwach, um deutliche Verbesserungen herbeizuführen. Schon morgen kann eine ähnliche Katastrophe in einer anderen iranischen Stadt eintreten. Es gibt aus der Vergangenheit mehrere Beispiele von Erdbeben im Iran mit ähnlich hohen Verlusten an Menschenleben wie in Bam.
Eine Analyse der Schadensstrukturen der zerstörten Gebäude anhand vorliegender Bilder läßt auch ohne Begutachtung vor Ort eine wesentliche Ursache für die eingetretenen großflächigen Zerstörungen erkennen: die viel zu schweren Flachdächer auf den Lehmsteinwänden.
Im traditionellen Bauen des gesamten zentralasiatischen Raumes sind schwere Flachdächer mit Lehmschlag verbreitet. Sie sind im Wüstenklima als Hitzepuffer bauklimatisch optimal, unter Erdbebeneinwirkung wegen ihrer großen Masse aber sehr ungünstig. Für die Tragstruktur wurden Stämme aus leichtem Palm- oder Pappelholz verwendet, Baumarten, die auch in Oasenstädten wie Bam oder Yazd gedeihen.
Bei der „modernen“ Variante in der „Neustadt“ von Bam (und nicht nur dort) wurden die Dachträger aus Holz durch Stahlprofile ersetzt, was vermeintlich größere Spannweiten zulässt. Stahlträger sind aber viel schwerer als Holz. Sie wurden mit dem Flansch direkt auf die Lehmsteinwände aufgelegt. Weder lastverteilende Ringbalken, noch Verankerungen der Dachträger wurden in den tragenden Wänden identifiziert. Im Auflagerbereich der Stahlträger kommt es deshalb schon bei vergleichsweise moderaten Erdbeben zu Festigkeitsüberschreitungen der Lehmsteine.
Die typische Grundrißform der tragenden Umfassungswände aus Lehmsteinen kann bei den zerstörten Häusern mit einem “U” beschrieben werden, das zur Straßenseite geschlossen ist und nur von einer Eingangstür und ggf. Lüftungsöffnungen durchbrochen wird. Die langen Gebäudeseitenwände stehen unmittelbar an der Grundstücksgrenze, berühren die parallel verlaufenden Wände des Nachbarhauses und dienen den Dachträgern als Auflager. Zur “offenen” Gartenseite verfügen die Häuser oft über geschoßhohe Öffnungen, die durch Tore verschlossen werden können. Bei einem Erdbeben kippen diese langen, zur Gartenseite nicht oder nur wenig gestützten Wände um, und die schweren Flachdächer stürzen in das Haus. Auch Hauswände aus gebrannten Ziegeln sind umgestürzt.
Von den Umfassungswänden her bildet das traditionelle arabische Hofhaus einen "geschlossenen“ quadratischen oder rechteckigen Grundriß. Im Falle eines Erdbebens stützen sich Wände in den Hausecken gegenseitig ab. Hinzu kommt, daß die Menschen vom Erdbeben im Schlaf überrascht wurden.
Die Lehmsteine sind nicht das Hauptproblem. Man kann auch mit Lehmsteinen Strukturen errichten, die einem Erdbeben der Stärke von Bam hätten widerstehen können. Das Wissen darüber ist vorhanden. So beschäftigt sich z. B. das Erdbebenzentrum der Bauhaus -Universität Weimar seit 10 Jahren mit Problemen des erdbebengerechten Bauens mit lokal verfügbaren Materialien in Zentralasien, darunter Lehm. Die Forschungsergebnisse wurden gemeinsam mit Fachkollegen aus Usbekistan und Kasachstan veröffentlicht. „Erdbebengerechtes Bauen“ war auch Gegenstand eines Vortrages, den der Verfasser auf der terra 2003 gehalten hat. Es war der einzige Vortrag zu diesem Thema.
Auf der terra 2003 wurden die Teilnehmer auch darüber informiert, daß in Yazd ein Zentrum für die Dokumentation und Erforschung der Lehmstein-Architektur mit Unterstützung der iranischen Regierung, eingerichtet werden soll. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die 10. Internationale Konferenz zum Studium und zur Konservierung der Lehmarchitektur, die terra 2006, wieder in Yazd durchzuführen. Yazd war bereits Gastgeber der 1. und 2. Konferenz vor fast 30 Jahren, allerdings mit einer viel geringeren Teilnehmerzahl.
Ob und wie die Stadt Bam wieder aufgebaut werden soll, wird von den iranischen Behörden entschieden werden, ebenso, welche Rolle dabei der Lehm als Baustoff spielen wird. Das Bauen mit Lehmsteinen hat die Architektur im Iran über Jahrtausende geprägt und gerade aus diesem Grund war Bam ein touristischer Anziehungspunkt. Sicher wird dazu die Meinung des Gastgebers der terra 2003, der ICHO, gehört werden, denn man wird die Zitadelle von Bam kaum in Beton wieder aufbauen können. Sehr wichtig für die iranischen Lehmbauer und Denkmalexperten ist auch die internationale fachliche Position, denn die Altstadt von Bam gehört zur Welterbeliste der UNESCO.
Der Dachverband Lehm e.V. führt vom 27.-30.10.2004 die LEHM 2004 zusammen mit der denkmal 2004 in Leipzig durch. Noch läuft der „call for papers“. Da sich auch iranische Kollegen für Vorträge angemeldet haben, werden wir neben den 4 bekannten Vortragsschwerpunkten der Veranstaltung noch zusätzlich einen fünften aufnehmen, nämlich Erdbebeneinwirkungen auf Konstruktionen aus Lehmbaustoffen. Wir laden dazu entsprechende Vortragende ein und verlängern die Laufzeit der Anmeldung von Vorträgen bis zum 15.02.2004.
Der Dachverband Lehm möchte so speziell unseren iranischen Kollegen die Möglichkeit eines Dialogs mit Fachleuten zu diesem Thema geben. Das in Yazd geplante Zentrum für die Dokumentation und Erforschung der Lehmstein-Architektur könnte zukünftig eine wichtige Rolle übernehmen, denn Fachwissen über erdbebengerechte Konstruktionen aus Lehmbaustoffen ist vorhanden und kann abgerufen werden.
Wie wichtig dieser Dialog zum Problem Bam inzwischen auch weltweit für die Denkmalpfleger geworden ist, wird daraus ersichtlich, dass der Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege ICOMOS, Prof. Dr. Michael Petzet die Schirmherrschaft über die LEHM 2004 übernehmen und ICOMOS als Mitveranstalter auftreten wird.
Dr.-Ing. Horst SchroederVorsitzender des Dachverbandes Lehm e.V. www.dachverband-lehm.de
Bauhaus-Universität WeimarFakultät Architektur / Professur Grundlagen des Ökologischen Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
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